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Markus Rennhack

Markus Rennhack – Musiker, Kick The Flame Publishing

Wie gehst du mit der aktuellen Situation um und wie geht es dir?

Ich versuche das Beste daraus zu machen, wobei das natürlich eine Binse ist. Niemand wird versuchen, das Schlimmste daraus zu machen, jedenfalls nicht bewusst. Ich bin im Home-Office, genau wie meine Partnerin. Wir haben unsere beiden Kinder vergleichsweise früh, aber realistisch betrachtet eigentlich trotzdem viel zu spät aus der Kita rausgenommen. Das als „kognitive Dissonanz“ bekannte Phänomen, einerseits zu wissen oder wenigstens zu ahnen, wie die Situation tatsächlich ist und was zu tun wäre, andererseits aber trotzdem an den Gewohnheiten festhalten zu wollen, das hat natürlich auch vor mir nicht haltgemacht. Es erinnert mich an die beiden anderen Umstellungen in meinem Leben – Verzicht auf Fleisch und das Abschaffen unseres Autos –, die ich ähnlich zögerlich vor mir hergeschoben hatte und rückblickend denke, dass das nun wirklich eher hätte passieren können. Wenn du mich also fragst, wie ich jetzt mit der Situation umgehe, dann ist die Antwort zum Teil, dass ich versuche, meinen Ärger über all die Leute, die den Ernst der Corona-Krise noch nicht erfasst haben, herunterzuschlucken. Been there, done that.
Uns selbst geht es gesundheitlich und auch mental im Moment noch gut. Wir gehören auch nicht zur Hauptrisikogruppe. Es ist aber schon hart, dem Umstand ins Auge zu blicken, dass wir Oma und Opa und vor allem die Uropas und -omas jetzt für eine sehr lange Zeit nicht mehr besuchen können. Und es ist auch eine krasse Herausforderung, sämtliche Arbeit daheim mit beschränkten Ressourcen und mit tobenden Kindern zu organisieren. In meinem Fall kommt noch akute Existenzangst dazu, denn als freier Musiker und als Verlagsmitarbeiter bin ich natürlich mit voller Wucht vom vollständigen Erliegen des Kulturbetriebs betroffen.

Welche Tipps und Empfehlungen möchtest und kannst du aussprechen, damit wir alle die Situation und unseren Alltag meistern?

Speziell für alle, die mit Kindern daheim sind: Wir fahren bislang recht gut damit den Tages- und Wochenablauf zu strukturieren. Wir haben uns nach den ersten beiden Tagen zu viert hingesetzt und gemeinsam überlegt, was wir wann tun wollen bzw. müssen. Es war uns wichtig, dass die Knirpse (bei uns drei und sechs Jahre alt) hier mitentscheiden durften, z. B. bei der Liste von Mahlzeiten, die wir jetzt abarbeiten. Zu unserem Ablauf gehört ein Spaziergang vormittags, selbstverständlich in großem Bogen um Spielplätze und ähnliches. Ein guter Trick ist, mit Laufrad und Fahrrad loszuziehen, da sie dann die Hände am Lenker haben und nicht erst an allem und dann im Gesicht. Wir haben außerdem auch eine Hörspielstunde nach dem Mittagessen etabliert, quasi als Ersatz für den Mittagschlaf, den unsere Kinder wie so viele andere irgendwie nur in der Kita hinbekommen, nie zuhause.
Das leidige Händewaschenproblem ist nicht zu unterschätzen. Bei der Happy-Birthday-Methode konzentrieren sich die Knirpse aufs Singen und vergessen das Rubbeln. Beim Sekundenzählen konzentrieren sie sich aufs Zählen und schrubbeln immer die gleiche Stelle. Wir haben also auch hier den Ablauf strukturiert und zählen für Handflächen und jeweils Handrücken separat bis 10, danach wird jeder Finger sauber gemacht. Das funktioniert sehr gut und scheint für die beiden so eine Art Spiel zu sein.
Damit wir als Eltern nicht die ganze Zeit im Kinderbespaßungsmodus verharren müssen, haben wir drei feste Tage in der Woche, an denen die Kinder auf Netflix oder ähnliches Kinderprogramm schauen dürfen. Natürlich nicht den ganzen Tag, aber schon lang genug, um daneben was zu schaffen.

Welche Art von Unterstützung brauchst du bzw. was wünschst du dir von deinen Mitmenschen?

Meine Branche hat in dieser Situation ein dreifaches Problem: Erstens haben wir seit gut zwanzig Jahren halbherziger und teils unterbliebener Regulierung der digitalen Märkte mitansehen müssen, wie sich ein Onlinemarkt für unsere Musik etabliert, an dessen Wertschöpfung wir so gut wie nicht teilnehmen. Anders gesagt: Es wurde und wird sehr viel Geld mit der Nutzung von Musik verdient, aber wir bekommen nur Peanuts ab. Das Offline-Geschäft ist also die Haupteinnahmequelle und die bricht jetzt in großen Teilen komplett weg. Nachfrage online kann das nicht mal ansatzweise kompensieren.
Zweitens gibt es folglich auch keine Rücklagen, insbesondere nicht bei Künstlern. Wir wirtschaften alle extrem prekär. Erfolg heißt oft lediglich, dass man nicht auf abhängige Beschäftigung angewiesen ist. Die Brotjobs sind aber trotzdem divers gestreut. In der aktuellen Krise brechen aber auch diese Kontingenzpläne reihenweise weg. Die eigene Tour wird abgesagt, die Tour der anderen, wo man als Live-Musiker gebucht war, fällt ebenfalls aus und Instrumentenunterricht wird auch gecancelt. Wir haben von Jetzt auf Gleich eine katastrophale Lage.
Drittens sind viele unserer stabileren Einkünfte von Verwertungsketten abhängig, die nun ebenfalls zusammenbrechen. Venues, die jetzt pleitegehen, können folglich auch nicht die Lizenzen für bereits gespielte Konzerte bezahlen. Wir haben also nächstes Jahr zusätzlich zu den Tantiemenausfällen wegen Konzertabsagen auch noch eine niedrigere Tantiemenerwartung für die paar Shows, die Anfang des Jahres gelaufen sind. Ähnliches auch bei der Rundfunktantieme für die glücklichen unter uns, die ab und an in TV und Radio stattfinden: Die Wirtschaftskrise sorgt für Zurückhaltung bei der Werbewirtschaft und mithin für weniger Einnahmen bei den Sendern und entsprechend auch für weniger Tantieme. Kurzum – wir werden zusätzlich zur jetzigen Katastrophe dann nächstes Jahr eine zweite Welle erleben, die insbesondere Autoren und Verlage trifft, die aber heute bereits dazu führt, dass bspw. Bands keine Vorschüsse mehr bekommen, gerade, wo sie am notwendigsten wären. Die GEMA springt hier jetzt dankenswerterweise mit Vorauszahlungen ein, hat aber logischerweise auch nur begrenzte Mittel für eine begrenzte Zeit.

All das lässt sich nicht mit Krediten heilen. Wir brauchen Zuschüsse und wir brauchen die Sicherheit, dass alle Bereiche des hochkomplexen Marktes die Krise überleben, denn alles hängt mit allem zusammen. Der Deutsche Musikrat fordert 1000 Euro monatliches Grundeinkommen für alle Freiberuflicher in der Kultur- und Kreativwirtschaft. Das wäre absolut hilfreich, geht mir aber noch nicht weit genug. Wir brauchen das für alle Bürger, mindestens solange drastische Einschränkungen verhängt bleiben. Denn niemand kann ernsthaft eine Bedürfnisprüfung durchführen. Und erst recht sollte niemand sich die Entscheidung darüber anmaßen, wessen Existenz gesichert werden soll. Mit Bedingungslosem Grundeinkommen hätten wir eine Soforthilfe für alle, die über die Krise hinaus gleich als Konjunkturprogramm weiterwirkt. Denn was bringt es uns Musikern bspw., wenn die Clubs nächstes Jahr wieder öffnen, aber unser Publikum nach Kurzarbeit oder Privatinsolvenz kein Geld für Konzerttickets übrighat? Und diese Frage kann sich jeder Unternehmer stellen und stellt sich hoffentlich auch die Wirtschafts- und Finanzpolitik.